Evangelische Kirche Eichlinghofen

Evangelische Kirche Eichlinghofen

19.Dezember 1958

Der 19.Dezember 1958 war ein wichtiger Tag in der Geschichte Eichlinghofens. Seit Menschengedenken hatte es im Dorf weder einen Arzt noch eine Apotheke gegeben. Zum Arztbesuch mussten die Dorfbewohner mit der Strassenbahn, später ersetzt durch den O-bus, nach Barop oder Hombruch fahren. Nach dem Besuch beim Arzt folgte dann noch ein langer Fussweg zur Apotheke in Barop oder Hombruch, wo die Patienten schliesslich ihr Rezept einlösen konnten. Lange erwartet hatte sich im Stortsweg Dr. Friedhelm Wieghardt niedergelassen mit einer Knappschaftsarztzulassung. Das war ein Geschenk des Himmels für die vielen Bergleute in Eichlinghofen. Doch eine Apotheke war immer noch nicht da. Jahrelang hatten die Bürger von Eichlinghofen Eingaben an die Regierung gemacht, doch endlich eine Apotheke zur Konzession auszuschreiben – ohne Erfolg. Die Lage änderte sich erst als 1957 der Bundesgerichtshof das berühmte „Apothekenurteil“ http://de.wikipedia.org/wiki/Apothekenurteil ankündigte. Danach erhielten Apotheker die Niederlassungsfreiheit. Das eigentliche Urteil wurde am 11.Juni 1958 erlassen. 

Lotte & Hans Hein

Lotte & Hanns Hein

Die Apothekerin Martha Charlotte (Lotte) Hein in Dortmund-Hörde hatte bereits seit Jahren immer wieder Bewerbungen beim Regierungspräsidenten in Arnsberg eingereicht, um eine Apothekenkonzession zu bekommen. Obwohl sie seit langem allen anderen Bewerbern an Qualifikation und Berufserfahrung weit voraus war, wurde sie immer wieder zurückgestellt, weil ein Bewerber männlichen Geschlechts ihr vorgezogen wurde. Heute würde eine solche Benachteiligung aufgrund des Gechlechtes wohl nicht mehr passieren. Damals war es bittere Realitât. 

Nun aber war die Niederlassungsfreiheit hier. Während Lotte Hein 48neubau-sign Wochenstunden und zusätzliche Nachtdienste in Dortmunder Apotheken ableistete, war ihr Ehemann, der Chemiker Hanns Hein, nun rastlos unterwegs auf der Suche nach einem geeigneten Ort zur Eröffnung einer Apotheke. Es ergab sich zu jener Zeit, dass der Unternehmer Gustav Crämer

Plan der Apothekeneinrichtung

Plan der Apothekeneinrichtung

in seinem Heimatdorf Eichlinghofen eine Baulücke auf der Stockumer Strasse mit einem Neubau schliessen wollte. Alleine das Schliessen der Baulücke wurde schon wärmstens von der Bevölkerung in Eichlinghofen begrüsst. Nun erschien Hanns Hein und überzeugte Gustav Crämer von der Idee, in diesem Haus eine Apotheke zu errichten. 


Wilhelm (Willi) Schröder war ein Hüne. Im Dorf war er als „Sheriff“ bekannt, ein Kosename für seine Funktion als der ortsansässige Polizist. Der Sheriff kannte jeden Einwohner von Eichlinghofen und viele Sachen

Laying the Foundation

Laying the Foundation

 über die er schwieg. Vor allem war er aber der örtliche Heimatgeschichtler.  Hanns Hein lernte ihn schnell kennen und beriet sich mit ihm über viele wichtige Einzelheiten in Eichlinghofen.

Ein ganz wichtiges Thema war der Name der künftigen Apotheke.  Viele Apotheken sind nach Fabeltieren benannt, oder nach berühmten Forschern. Lotte und Hanns Hein wollten aber ganz auf die Eigenheiten von

Sohn Thomas Hein begutachtet die Baustelle

Sohn Thomas Hein begutachtet die Baustelle

Eichlinghofen eingehen und hierzu befragten sie Willi Schröder, der sofort einen geschichtsträchtigen Eichlinghofer Namen wusste. Bevor irgendjemand daran dachte Waschmaschinen im Haus zu haben, gingen die Eichlinghofer zu ihrem Bach im Unterdorf und wuschen dort ihre leinene Wäsche. Der Bach bekam deswegen den Namen Linne. In Krisenzeiten und bei Belagerungen spendete die

Rohbau. Im Hintergrund das damalige Kohlheppel'sche Haus

Rohbau. Im Hintergrund das damalige Kohlheppel'sche Haus

Linne immer frisches Wasser, sie war eine Quelle des Lebens. Für Willi Schröder gab es daher kein Zögern; die Apotheke musste Linne-Apotheke heissen.

Die Bauarbeiten zogen sich hin. Die Genehmigung zu Errichtung der Apotheke in Eichlinghofen sah die Eröffnung bis spätestens August 1958 vor. Mehrfach musste Hanns Hein beim Regierungspräsidenten um Fristverlängerung bitten. Schliesslich sollte die Eröffnungsabnahme am 18.Dezember erfolgen – jedoch, es war kein fliessendes Wasser da! Ein letztes Mal gelang es Hanns Hein, beim Regierungspräsidenten kleine Brötchen zu backen, aber nur zur Verzögerung um einen Tag. Weihnachten stand vor der Tür! Wasser kam! 

Aufriss Nordseite

Aufriss Nordseite

Seit Ende November waren Lotte und Hanns Hein, unterstützt von treuen Freunden und Helfern, 20 Stunden am Tag an der Arbeit, die neue Apotheke einzurichten. Es waren Lieselotte Golombek, Franzis Schmeken, Irmgard Bromby, Renate Bertram. Auch die Söhne der Familie Hein, Till und Thomas halfen mit. Es war nicht einfach, in die Apothekenräume zu kommen. Winterregen und gelegentlich auch schon etwas Schnee hatten das Erdreich rund um den Neubau zu einem Schlammmorast gemacht. Gustav Crämer

Aufriss Ostseite

Aufriss Ostseite

Planken hin zur Strasse legen lassen. Dort parkte Hanns Hein seinen Lloyd Kombi, damals allgemein bekannt als Leukoplast Bomber. Alle Lieferanten und freilich auch die Helfer mussten über die Planken balancieren. Es war unvermeidlich, Matsche in die Apotheke hereinzuschleppen. 

Eines Abends, so gegen 20:00 erschien, wie vom Himmel geschickt, eine Person von kleiner Gestalt und fragte, ob sie putzen helfen könnte, Frau Meta Vogelgesang. Lotte Hein zögerte nicht lange, „Hier ist der Eimer“ und los gings.

Der Bauunternehmer hatte auf Drängen der Familie Hein mit Volldampf die Fertigstellung der Apothekenräume betrieben, alles andere im Bau war noch roh, aber immerhin, Strom war da und Gas, und die Heizung lief, Wasser, wie schon erwähnt, kam verlässlich schliesslich am letzten Tag.

Genehmigung zur Eröffnung der Apotheke

Genehmigung zur Eröffnung der Apotheke

Am 19. Dezember 1958 fuhr dann Regierungsrat Stephani aus Arnsberg vor und fing mit der Begehung an. Es war schon fast Mittag, als er auf Frau Hein zuging und mit ausgestreckter Hand „Herzlichen Glückwunsch!“ rief. Die Apotheke war nun von der Regierung für würdig und geeignet befunden, die Eichlinghofer Bevölkerung mit Arznei zu versorgen. Nur eine Sekunde später hatte Hanns Hein schon den Schlüssel umgedreht und liess nun die lange Schlange von erwartungsvollen Eichlinghofern in die Apotheke. Viele hatten schon ärztliche Rezepte seit Tagen aufgespart, um sie ja in der neuen Apotheke einzulösen. Viele Bürger kamen mit Blumen und gratulierten, viele brachten auch Früchte aus ihren Gärten, Obst und Gemüse, als Geschenk. Manches Auge konnte da nicht trocken bleiben. „Das ist unser schönstes Weihnachtsgeschenk“ wurde immer wieder gehört. 

Zur historischen Bedeutung der Einrichtung der LinneApotheke   

Traditionelle Apothekeneinrichting

Traditionelle Apothekeneinrichting

Das historische Konzept einer Apothekeneinrichtung sah eine Theke vor (im Apothekersprachgebrauch: Handverkaufstisch) parallel zur Strassenfront aufzustellen, und dahinter, wiederum parallel eine Schrankwand zu haben. Bei dieser Konstellation waren sich die Apothekenangestellten oftmals im Weg und behinderten so die effiziente Abfertigung der Kunden.

Lotte Heins Idee einer neuartigen Apothekeneinrichtung

Lotte Heins Idee einer neuartigen Apothekeneinrichtung


Seit langem hatte Frau Hein sich hierüber geärgert. Nun war ihre Chance gekommen,das Konzept der Apothekeneinrichtung den wirtschaftlichen Realitäten anzupassen. Auf einem Stück Papier skizzierte sie ihren eigenen Entwurf.  


Handverkaufsraum

Handverkaufsraum

Es war nicht einfach, eine Apothekeneinrichtungsfirma zu finden, die bereit war, ein derartiges gewagtes Konzept in gebaute Wirklichkeit umzuwandeln. Hanns Hein wurde schliesslich im Siegerland fündig, Die Firma Schneider hatte ein erschwingliches Angebot abgegeben und bekam den Auftrag. 

Hanns & Lotte Hein begrüssen Kunden

Hanns & Lotte Hein begrüssen Kunden

Als Lebensmittelchemiker war es Hanns Hein verwehrt, Kunden zu bedienen. Dies durfte nur von vorexaminierten und approbierten Apothekern gemacht werden. Niemand konnte es ihm jedoch verwehren, Gespräche mit Kunden zu führen und damit guten Willen zu schaffen. Im wesentlichen beschäftigte sich Herr Hein aber mit der Geschäftsführung. Ihm oblag die kunstvolle Finanzierung des jungen Unternehmens. Hierzu benutzte er immer wieder erneuerte Wechsel, Darlehen aller Art und herausgezogene Zahlungsfristen. Es gelang ihm auf diese Weise, langsam Verbindlichkeiten abzulösen und somit eine Firma aus dem Boden zu stampfen, die ohne nennenswertes Eigenkapital gegründet worden war. 

Parallele Anordnung der Spezialitätenschränke

Parallele Anordnung der Spezialitätenschränke

Die Medikamentenanalyse im Labor wurde ebenfalls von ihm durchgeführt, ebenso wie die galenische Herstellung von Medikamenten. Diese Tätigkeit erlaubte ihm auch zu lehren. Eine Reihe von Apothekerpraktikanten und angehenden pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten hatten das Glück, von ihm ausgebildet zu werden. Da waren Renate Straube, Karl-Wilhelm Kuschinsky, Anita Kuschinsky, Renate Pöhl und Astrid Schachtsiek, um nur einige aus der langen Reihe zu nennen.

Eine neue Zeit für Eichlinghofen

Eine neue Zeit für Eichlinghofen

Schon im Januar 1959 konnte an der Aussenfront der Apotheke eine grosse, von weitem sichbare Normaluhr installiert werden. Damals war es noch eine Besonderheit, eine Armbanduhr zu besitzen. Die grosse Uhr half den Eichlinghofern pünktlich ihren O-Bus zu erreichen. 

Gleich von Anfang waren die Bewohner des Eichlinghofer Altersheims ein besonderes Herzensanliegen für Herrn und Frau Hein. So organisierten sie einen seinerzeit innovativen Lieferdienst für das Altersheim und ersparten so vielen gebrechlichen alten Leuten den mühsamen Weg. Nicht nur das, zur Adventszeit bekam jeder Bewohner ein kleines Geschenk. Die Damen bekamen mal ein Stück Mouson Seife, oder auch mal eine Fläschchen 4711. Alle wurden mit „Zwetschgenmännchen“ beglückt, die Herr Hein im Frankenwald fertigen liess. Den Fertigern war dies eine höchst willkommene Arbeitsbeschaffung und den Menschen im Altersheim eine grosse Freude.

Dankbrief von der Stadtsparkasse Dortmund

Dankbrief von der Stadtsparkasse Dortmund

Nicht alle Tage in der Apotheke waren reine Routine. Gelegentlich gab es auch Aufregung, wie zum Beispiel bei einem Raubüberfall auf die ebenfalls im Hause gelegene Filiale der Stadtsparkasse Dortmund. Der Räuber war mit der Beute entflohen und die Polizei konnte ihn nicht finden, obwohl sie innerhalb von zwei Minuten am Tatort eintrafen. Frau Hein entdeckte den Bankräuber in seinem Versteck in einem Planzenbeet unter ihrem Bürofenster. Aufgrund dieser Entdeckung konnte der Mann ergriffen werden und die Beute wurde sichergestellt. Frau Hein wurde von der Stadtsparkasse belobigt. 

Glückwunschurkunde zum 25jährigen Jubiläum

Glückwunschurkunde zum 25jährigen Jubiläum


Herr Hein starb 1972, Frau Hein 1998. Seit 1985 wird die Linne-Apotheke von Rudolf Meyer geführt. Bis 1996, über ihren 90. Geburtstag hinaus hat Frau Hein noch regelmässig in der Apotheke mitgearbeitet, und auch bei Apothekerkollegen im ganzen Land vertretungsweise mitgeholfen.